In Berlin wurden drei afghanische Geflüchtete in einer Kirche aufgenommen, um eine Abschiebung nach Schweden zu verhindern. Einige Tage später nahm die Polizei einen von ihnen außerhalb des Kirchenareals fest – und lieferte ihn aus. Für Hamburgs Bürgermeister war das kein Zufall, sondern ein klarer Missbrauch: „Systematischer Missbrauch des Kirchenasyls“, nannte er es und warf dem Berliner Senat Rechtsbruch vor. Dies zeigt: Was in der Kirche als humanitärer Schutz gilt, ist auf staatlicher Ebene ein Unterlaufen formaler Verfahren. Eine traditionell stille Übereinkunft zwischen Kirche und Staat wird zum Problem.
Kann der Rechtsstaat noch folgen?
Kirchenasyl mag auf den ersten Blick ein Akt der Nächstenliebe sein – doch längst gilt: in über 90 % der Fälle handelt es sich um sogenannte „Dublin-Fälle“, also Verfahren, in denen nicht Deutschland, sondern ein anderes EU-Land zuständig ist. Die Kirchen halten Menschen dort oft solange, bis gesetzliche Fristen ablaufen – und damit faktisch der deutsche Staat ein Verfahren übernimmt, das er formal nicht führen darf. Diese dauerhafte Ausnahme schwächt das Dublin-System und öffnet Tür und Tor für unkontrollierte Parallelstrukturen.
Ein prägnantes Beispiel stammt aus Bremen: Als Behörden versuchten, einen Somalier aus dem Kirchenasyl abzuschieben, versammelten sich 100 Menschen zum Protest – und verhinderten die Ausreise. Das Gericht stoppte schließlich die Abschiebung. Die Kirche hatte interveniert, das BAMF lehnte den Härtefall ab, doch die symbolische Wirkung blieb erhalten.
Oder Schwerin: Eine afghanische Familie hatte Kirchenasyl gesucht. Bei der versuchten Abschiebung reagierte die Mutter dramatisch – Behörden riefen Spezialkräfte. Im Ergebnis wurde das Kirchenasyl gebrochen – erstmals in Mecklenburg-Vorpommern. Nordkirche und der Flüchtlingsrat in Mecklenburg-Vorpommern sahen „eine rote Linie überschritten“, berichtet der NDR.
Symbolkraft statt Rechtssicherheit
Kirchenasyl ist zahlenmäßig relativ gering: 2024 zählte man rund 2.386 Fälle in Deutschland, im ersten Quartal 2025 waren es 617 (siehe auch: WELT-Artikel). Doch seine Wirkung ist enorm: In Hamburg verhinderte Kirchenasyl in über der Hälfte der Fälle – in 58 von 111 – eine geplante Abschiebung. Dieses Ergebnis sendet eine klare Botschaft: Die Kirche kann – unabhängig vom staatlichen Verfahren – entscheiden, wo Schutz gilt. CDU-Politiker Alexander Throm warnte zurecht, dass Kirchen durch diese Praxis europäisches Recht unterlaufen – und sich damit bewusst „auf die falsche Seite“ stellten.
Regeln müssen gelten
Die Praxis des Kirchenasyls schafft eine gefährliche Grauzone. Sie verschiebt Verantwortung von staatlichen Verfahren auf sakrale Räume, die demokratisch weder kontrolliert noch verpflichtet sind. In einem funktionierenden Rechtsstaat müssen Regeln gleichermaßen gelten – unabhängig von Religion, Mitgefühl oder Symbolkraft.
Ein politischer Lösungsansatz sollte daher verlangen:
- Klare Grenzen: Kirchenasyl muss entweder gesetzlich verankert und mit klaren Kriterien versehen sein – oder konsequent abgeschafft werden. Die bisherige Duldung durch Behörden reicht nicht.
- Effektive Verfahren: Härtefallkommissionen und das BAMF müssen unabhängiger und transparenter arbeiten, damit solche Einzelfälle wirklich geprüft – aber nicht routinemäßig verlängert – werden.
- Wahrhaftigkeit in Kommunikation: Medien und Kirche dürfen nicht suggerieren, dass staatliche Verfahren unmenschlich oder falsch seien – während Kirchenasyl die moralisch bessere Lösung darstelle. Das ist ein verzerrtes Narrativ, das den Rechtsstaat schwächt und unsere Probleme durch illegale Migration weiter verschärft.
Nur so lässt sich gewährleisten, dass wir in einem freiheitlichen, humanen und stabilen Rechtsstaat leben – in dem sowohl Hilfsbereitschaft als auch Gesetzeszuflucht zusammen existieren können, ohne einander zu untergraben. Denn Kraft und Ressourcen, die wir für Menschen ohne Bleibeperspektive aufbringen, fehlen uns für die so notwendige Integration echter Flüchtlinge.