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6. August 2025

Zwischen Anspruch und Verantwortung: Wohin steuern die NEOS in der Regierung?

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Die liberale Partei NEOS ist erstmals Teil einer österreichischen Bundesregierung – mit großer Zustimmung der eigenen Basis und hohen Erwartungen in der Bevölkerung. Wenige Monate nach dem historischen Schritt zeigen sich erste Sollbruchstellen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der neben ÖVP und SPÖ kleinste Koalitionspartner muss liefern, wenn er nicht wie zuletzt die deutsche FDP nach bundespolitischer Regierungsverantwortung abstürzen will.

Die Euphorie des Aufbruchs

Als die NEOS im Frühjahr 2025 mit 94 % Zustimmung ihrer Mitglieder in die erste Dreierkoalition Österreichs seit über 75 Jahren einzogen, schien die liberale Erfolgsgeschichte perfekt. Es begann ein Experiment, das nun zeigen muss, ob liberale Handschrift in einer so breit aufgestellten Regierung sichtbar bleibt.

Mit Außenministerium, Bildungsressort und einem Staatssekretariat für Bürokratieabbau wollen „die Pinken“ beweisen, dass sie mehr sind als eine Oppositionspartei mit guten Ideen. Der Anspruch ist klar: Österreich modernisieren, Transparenz schaffen, Bildung neu denken. Doch die politische Realität zeigt: Regieren heißt Kompromisse schließen – und die werden schnell zum Stresstest für Glaubwürdigkeit und Profil.

Anspruch und Realität prallen aufeinander

Im März stellte NEOS-Klubobmann Yannick Shetty im Parlament klar, dass die Partei sich bewusst nicht in eine Statistenrolle drängen lasse, sondern auch in Regierungsverantwortung den offenen Diskurs und einen eigenständigen Zugang zur Macht suchen wolle. Das Credo also: nicht Beiwagerl, sondern Mahner. Doch gleichzeitig sind die NEOS Teil genau jener Regierungsarbeit, die sie kritisch mitgestalten sollen und wollen. Kleine Symbole wie die „Dienstwagen-Affäre“ rund um Staatssekretär Sepp Schellhorn wirken da fatal – sie untergraben die liberale Botschaft von Effizienz und Sparsamkeit. Auch wenn am medial viel zu heiß gekochten Knochen der Opposition letztlich nicht mehr viel Fleisch gegen Schellhorn übrig blieb.

Bildung als Nagelprobe – und erste Fortschritte

Die größte Bewährungsprobe für die NEOS liegt naturgemäß im Bildungsbereich. Dieser liegt in der DNA der „Neues Österreich“-Liberalen, denn nicht zuletzt der charismatische (und bis auf Weiteres nicht mehr politisch aktive) NEOS-Gründer Matthias Strolz war und ist Bildungsexperte aus Leidenschaft. Die ebenfalls beliebte NEOS-Chefin und nun Außenministerin Beate Meinl-Reisinger machte Ende 2024 folglich deutlich: „Zentral wäre im Sinne der Chancengleichheit der Ausbau der ganztägigen Schulen.“ Sie plädierte zudem für Modelle „voll-autonomer Schulen“, bei denen Unterricht und Freizeit stärker verbunden werden. Hier steht die Regierung nun in der Pflicht: Der Druck, die seit Jahren verschleppten Strukturreformen durchzusetzen, ist so hoch wie nie.

Der österreichische Landeshaushalt schnürrt das Korsett eng, aber es gibt Bewegung: Bildungsminister Christoph Wiederkehr kündigte neulich ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, zusätzliche Mittel für Deutschförderung (61 Mio. € jährlich) und einen Chancenbonus für Brennpunktschulen (65 Mio. € ab 2026/27) an. Dazu kommen Investitionen in neue Ausbildungswege für Lehrkräfte, digitale Lehrmittel und administrative Entlastung der Schulleitungen. Gespart werde vor allem in der Verwaltung – nicht im Klassenzimmer, betonte Wiederkehr.

Die stellvertretende Klubobfrau Martina von Künsberg Sarre ergänzte aktuell auf LinkedIn: „Eine langjährige NEOS-Forderung, die wir jetzt schrittweise umsetzen: Wirtschafts- und Finanzbildung stärker in den Schulen verankern!“ – Wichtig! Ab Herbst 2025 werde das neue Schulfach „Wirtschaft, Innovation und Nachhaltigkeit“ an rund 50 wirtschaftskundlichen Realgymnasien starten.

Diese Maßnahmen sind ambitioniert und könnten langfristig das markenkernige Bildungsprofil der NEOS-Partei realpolitisch bestätigen. Entscheidend wird jedoch sein, ob die Umsetzung nicht im Dickicht der Bürokratie steckenbleibt – und ob die Ergebnisse in den Klassenzimmern spürbar sind.

Budget, Bürokratie und Transparenz

Die Budgetpolitik bleibt ein Balanceakt. Zwar warnten die NEOS vor einem „Rasenmäherprinzip“ bei den geplanten 6,4 Milliarden Euro Einsparungen in 2025 (mit weiteren 8,7 Mrd. € im Jahr 2026), doch fiskalpolitische Strukturreformen, die über klassische Kürzungen hinausgehen, sind bislang noch nicht sichtbar. Auch beim Bürokratieabbau müssen die NEOS erst konkrete Projekte liefern. Hier wird wohl letztlich ebenso der Bildungsbereich zeigen, ob Budgeteinsatz und Bürokratieabbau liberal-performt umgesetzt werden.

Positiv fällt auf, dass die NEOS beim Thema Transparenz nicht lockerlassen. NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter warnte im Rahmen der Koalitionsverhandlungen eindringlich vor der gefährlichen Abhängigkeit der Medien von Regierungseinfluss durch Inserate: „Anstatt je nach politischer Gunst über das wirtschaftliche Schicksal von Medien zu entscheiden, sehen unsere Vorschläge vor, die Medienförderung selbst deutlich auszubauen.“ Noch ist kein Gesetz durchgebracht. Doch gelingt eine Reform in dieser Legislatur, wäre das ein bedeutender Meilenstein – und ein Beleg für das Reformpotenzial der Partei in Regierungsbeteiligung.

Lehren aus Deutschland

Die deutsche FDP hat leider gezeigt, wie schnell – insbesondere in politisch besonders herausfordernden Zeiten – liberale Hoffnungen platzen können. 2021 voller Aufbruch in die Berliner Ampel-Koalition gestartet, kämpfen die Freien Demokraten heute ums Überleben – weil sie zwar konstruktiv mitregierten, aber ihre Wählerinnen und Wähler in einzelnen Entscheidungen enttäuschten, ihre Erfolge wiederum nicht erfolgreich kommunizieren konnten und medienöffentlich zu wenig Rückhalt hatten. Und naturgemäß spielen auch interne Fliehkräfte (bei allen Parteien) eine gewichtige Rolle in der Frage, ob sich die eigene politische Arbeit gut oder schlecht verkauft.

„Die NEOS haben sich entzaubert“, urteilte nun bereits jüngst die Boulevardpresse in Person von oe24-Chefredakteur Niki Fellner über den noch einzulösenden Reformanspruch der Liberalen. Noch sind die NEOS nicht in der Lage, sich erklären zu müssen. Dennoch sollten sie die deutsche Mahnung ernst nehmen: Wer zu sehr Kompromisse eingeht, riskiert die eigene Identität. Nach der Sommerpause muss es heißen: weiter abliefern!

Fazit: Zeitfenster für echte Reformen

Die NEOS haben in dieser Koalition die historische Chance, Österreichs politische Landschaft nachhaltig zu prägen und zum „vertrauenswürdigen Erwachsenen“ in der Parteienlandschaft Österreichs heranzureifen. Das Zeitfenster ist eng. Ohne greifbare Fortschritte bei Bildung, Bürokratieabbau und Transparenz droht, dass die Euphorie des Aufbruchs in Ernüchterung umschlägt. Noch ist alles offen – ob die NEOS später als treibend gestaltende Regierungskraft in Erinnerung bleiben oder als warnendes Beispiel dafür, wie schnell politische Hoffnungsträger mit den Mühen der Regierungsebene hadern.

Unabhängig von dieser Frage zeigt sich: Der Liberalismus in Österreich lebt. Und das ist schön zu sehen.

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